Wahlbetrachtung II – Grüne Trends

Wahlergebnisse richtig zu lesen und zu interpretieren ist nicht immer ganz einfach. Dazu sind nicht nur demographische Entwicklungen zu berücksichtigen, sondern auch, dass zu einer Wahl immer mehrere Parteien gehören. Dennoch beschränke ich mich zunächst im Wesentlichen auf Grünes.

Die erste Betrachtungsebene ist die der Bundesländer. Ein paar Landestrends weichen von der Gesamtentwicklung ab, meistens kann man das jedoch ziemlich einleuchtend erklären. In Niedersachsen gab es diesmal keinen Schröder-Effekt mehr, der grüne Stimmen zur SPD gezogen hätten, deswegen waren die dortigen Zuwächse auch überdurchschnittlich. Umgekehrt die Situation in Hessen: Lange Jahre bescherte dort der Fischer-Effekt ein paar grüne Extrastimmen. Ohne die wurde es letzte Nacht für Wolfgang Strengmann-Kuhn auf Platz 6 der hessischen Landesliste ziemlich eng. In Schleswig-Holstein kam uns die parallele  Landtagswahl ziemlich gelegen. Im Saarland versucht die Linkspartei, sich dort ziemlich breit zu machen. Dennoch hat es nun auch für den letzten Landesverband immerhin zum Mandatsgewinn gereicht, und auch die ergebnisoffenen Sondierungsgespräche führten offenbar zu keinen negativen Auswirkungen.

Das Problem der ostdeutschen Flächenländer kennen wir selbst zur Genüge. Auf dem dünnbesiedelten Land gibt es durchweg Probleme, in der Diaspora vom Fleck zu kommen, wobei andere Landesverbände hier noch größere Schwierigkeiten zu haben scheinen. Größtes Problem ist hier die oftmals fehlende Präsenz. Die neuen Landtagsfraktionen bieten einige Möglichkeiten und wie man es am besten löst, muss jetzt diskutiert werden. Eine gewisse Nähe zur Linkspartei in einigen Punkten schadet offenbar nicht, wenn man das nur inhaltlich nachvollziehbar begründet. Die Herkunft der grünen Kandidatinnen und Kandidaten spielt wiederum keine Rolle, da sind die in diesem Blog recht aktiven Meckerer anscheinend die Letzten ihrer Art. In Brandenburg gelang der Landtagseinzug sogar mit einem Duo aus zwei gelernten Wessis an der Spitze.

Richtig knifflig wird die Einordung einiger regionaler Trends. Ausreißer nach oben fielen mir auf in einigen Wahlkreisen, wo grüne Kandidaten ausgeprägt sozialpolitisches Profil aufwiesen, zum Beispiel Markus Kurth in Dortmund oder Beate Müller-Gemmeke in Reutlingen. Dem gegenüber standen auf der anderen Seite deutliche Zuwächse in einigen Wahlkreisen mit klaren Wohlstandsprofil und entsprechend „bürgerlich“ auftretenden Kandidaten, zum Beispiel Ingrid Hönlinger in Ludwigsburg, Andrea Lindlohr in Esslingen oder Alex Bonde in Emmendingen/Lahr. Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass ein klares Kandidatenprofil an sich generell hilfreich ist. Die uneinheitliche Lagerzuordnung der neuen Stars ist natürlich für die innerparteiliche Debatte eher von Vorteil. Sie spricht für eine weiterhin möglichst breite Aufstellung der Partei und besonders dafür, dass der grüne Ansatz der einzige zu sein scheint, in dem sich eine soziale Politik und eine konstruktive Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht widersprechen. Im Ruhrgebiet hingegen sind Grüne mancherorts gegenüber der Linkspartei im Hintertreffen gelandet, da konnten diese Ansätze offenbar nicht so gut landen.

Grüne Regierungsverantwortung auf Landesebene oder kommunal wirkt tendenziell eher als Negativfaktor, nicht aber überall, manche machen es also gut genug. Vor allem eine Zusammenarbeit mit der CDU wird nicht so gern gesehen, so in Hamburg, Frankfurt (Main) oder Freiburg. Manchmal, wie in Bremen, gibt es auch durch Rotgrün messbare Probleme.

Im Wahlkreis Tübingen vermute ich etwas, was 2005 in Friedrichshain-Kreuzberg so ähnlich zu beobachten war, nämlich die irrationale Splittingumkehr. Leute, die sich gefühlt zwischen Grünen und SPD sehen, wählten da 2005 noch rot-grün, diesmal jedoch möglicherweise grün-rot. Erststimmenkampagnen verfangen generell schlechter, wenn die grünen Kandidaten über die Liste abgesichert sind, so zum Beispiel in Berlin-Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf oder in Freiburg, wo Grün-Wähler den SPD-Kandidaten Högl, Petra Merkel und Erler die Direktmandate gerettet haben (in Freiburg scheint die Situation noch etwas unübersichtlicher zu sein, da der dortige CDU-Bewerber vielen der eigenen Anhänger möglicherweise zu peinlich war). Auch der nicht auf der Liste abgesicherte SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach verdankt die Verteidigung seines Wahlkreises den Erststimmen grüner Wählerinnen und Wähler, Ulrich Kelber in Bonn darf sich dafür eher bei Westerwelle bedanken. Die fehlenden Direktkandidaturen in drei Wahlkreisen in Nordrhein-Westfalen haben dem grünen Zweitstimmenergebnis überhaupt nicht geschadet. Manchmal schließlich wird die Interpretation durch Überlagerung mehrerer Effekte kompliziert, in Oberschwaben zum Beispiel kommt noch die ÖDP dazu, die 2005 nicht angetreten war. Und manchmal weiß ich gar nicht mehr weiter: Was ist denn nun eigentlich in Mittelfranken (im positiven Sinne) passiert?

Anmerkungen zu den Ergebnissen neuartiger männerdominierter Kleinparteien widme ich in naher Zukunft noch einen Extraartikel.

Mein vorläufiges Fazit: Man kann auf mehreren Wegen zum Erfolg kommen, nur allzu ausgiebiges Verstricken in Koalitionsdebatten bringt es vermutlich nicht. Das Unwort des Wahlkampfs lautete „Machtoption“. Die hat die SPD jetzt auch nicht mehr.

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