Hartz IV war ein Fehler!

Der Kreisverband Greifswald-Uecker-Peene hat auf seiner Mitgliederversammlung am 20.10. einstimmig beschlossen, bei der nächsten Landesdelegiertenkonferenz folgenden Antrag einzubringen:

Die Landesdelegiertenkonferenz möge beschließen:

1. Das vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV), insbesondere die Einführung des SGB II, war und ist falsch.
2. Der Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern wird sich, bis zu einer grundlegenden Änderung der sozialen Sicherungssysteme, für eine Änderung des SGB II einsetzen. Bundesvorstand und Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen werden aufgefordert, dem Beispiel zu folgen.
3. Neben der Erhöhung der Regelleistungen, für die Bündnis 90/Die Grünen seit langem eintreten, muss insbesondere die Rechtsstellung der ALG II- und Sozialgeldberechtigten verbessert werden.
4. Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern fordert deshalb:
– Gleiches Recht für alle Menschen unabhängig von ihrem finanziellen Status
– Die Vorschriften über die Sanktionen müssen überarbeitet werden, das Existenzminimum darf nicht angetastet werden
– Das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft muss abgeschafft werden
– Die Schlechterstellung der unter 25-jährigen muss zurück genommen werden
– Im SGB II muss den Leistungsberechtigten das Wunsch- und Wahlrecht zuerkannt werden
– Das informationelle Selbstbestimmungsrecht muss auch im SGB II gelten
– Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis sollte nicht durch das Vergaberecht ersetzt werden

Begründung:

Unbestritten dürfte sein, dass ca. 1,5 Millionen Arbeitslosenhilfebezieher mit Einführung von Hartz IV schlechter gestellt und auf Sozialhilfeniveau, bzw. darunter, gesetzt wurden. Dennoch wurde so getan, als wenn es keine Alternative gegeben habe.

Selbst von (grünen) Kritikern der Hartz IV-Gesetzgebung war und ist zu hören und zu lesen, dass die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe richtig war. Dies ist durch nichts belegt. So heißt es dazu, dass Sozialhilfebezieher durch die „Reform“ besser gestellt seien. Zumindest in finanzieller Hinsicht sind auch Sozialhilfebezieher durch die Pauschalierung der Regelleistungen schlechter gestellt worden als in der Sozialhilfe (BSHG) mit den vielen einmaligen Hilfen. Nach seriösen Berechnungen haben auch ehemalige Sozialhilfebezieher weniger. An dieser Stelle nur der kurze Hinweis, dass im SGB II zunächst die Regelleistung in Höhe von 345,- € festgeschrieben und dann (Zufall, Zufall!) in der folgenden Einkommens- und Verbrauchsstichprobe genau dieser Wert als Existenzminimum ermittelt wurde.

Was könnte noch als Argument für die Zusammenlegung genannt werden bzw. was ist zu lesen und zu hören? Soziahilfebezieher kämen jetzt in den Genuss der Instrumente der Arbeitsvermittlung.
Unabhängig davon, dass keines dieser Instrumente dem ALG II-Berechtigten als Anspruch zusteht (lediglich im Ermessen des Arbeitsvermittlers), so hätte man dieses Ziel auch mit einer einzigen Änderung im BSHG erreichen können (ein Verweis z.B. in § 19 BSHG hätte gereicht).

Zur Rechtsstellung der ALG II-Berechtigten mit Einführung des SGB II ließe sich noch viel mehr sagen, Stichworte an denen klar wird, dass ALG II-Berechtigte durch Hartz IV zum Objekt staatlichen Handelns werden, sind:
– Bedarfsgemeinschaft,
– Pflichten, denen keine Rechte oder Ansprüche gegenüber stehen,
– Mitwirkungspflichten/informationelles Selbstbestimmungsrecht,
– Sanktionen,
– Beweislastverteilung,
– Rechtschutzmöglichkeiten etc.
Vgl. hierzu : Positionspapier des Diakonischen Werkes der EKD, zu finden hier und als Anlage der Begründung beigefügt.

Noch ein Argument für die Zusammenlegung ist, dass ehemalige Sozialhilfebezieher jetzt rentenversichert seien. Richtig, aber verschwiegen wird dabei, dass die Höhe der Beiträge so gering ist, dass keine nennenswerten Ansprüche erzielt werden. Eine Rente über Grundsicherungsniveau ist damit in ca. 350 bis 400 Jahren zu erreichen.

Nichts spricht für die Notwendigkeit dieser Reform, auch nicht die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und auch nicht, dass es für den Staat billiger wurde. Das Gegenteil ist der Fall. Schon die Höhe der Löhne in den neuen Jobs ist nicht untersucht worden, Hartz IV erlaubt nun mal den Lohndruck. Auch ist keinesfalls belegt oder untersucht, dass ein Zusammenhang zwischen Hartz IV und Jobs im Zuge des zwischenzeitlichen Aufschwungs besteht.

Die sozialen Bürgerrechte gehen nicht nur durch die Praxis in den Jobcentern, die wohl unbestritten schlecht ist, und deren Umgang mit ihren Kunden (!) verloren, der Verlust ist im Gesetz angelegt Das vor kurzem erschienenes Positionspapier des Diakonischen Werkes der EKD untersucht das SGB II im Hinblick auf die Rechtsstellung einkommensarmer Menschen und sieht dringenden Veränderungsbedarf. Zusammen mit noch in der Planungs- bzw. Entwurfsphase befindlichen Gesetzen spricht die Diakonie von „systematischer Entrechtung von unterstützungsbedürftigen Bürgern“.

Zu den einzelnen Stichworten, an denen deutlich wird, dass die Rechtsstellung
einkommensarmer Menschen, die auf Leistungen aus dem SGB II angewiesen sind, sich deutlich von der Rechtsstellung finanziell unabhängiger Menschen unterscheidet, nachfolgend einige Beispiele aus dem Papier der Diakonie, die von dem Entstehen einer Zweiklassengesellschaft spricht.

Bedarfsgemeinschaft:
„Die Fokussierung auf die Gesamtheit der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft führt zu einer Entindividualisierung der Betrachtung von Hilfebedürftigkeit. Abweichend von der Einstandsgemeinschaft des ehemaligen Bundessozialhilfegesetzes und des SGB XII – Sozialhilfe werden nicht mehr die Hilfebedürftigkeit des Einzelnen und Unterhaltspflichten betrachtet, sondern nur noch die Hilfebedürftigkeit der Gruppe festgestellt. Erzielt ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Einkommen oberhalb seines eigenen Existenzminimums, wird sein Einkommen unabhängig von Unterhaltsansprüchen zu gleichen Teilen auf den Bedarf aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt. Dadurch werden zum einen Unterhaltspflichten konstruiert, die nicht bestehen.“

Rechtsanspruch:
„Rechtsansprüche bestehen im SGB II nur für die Leistungen zum Lebensunterhalt (so genannte Passivleistungen). Auf Eingliederungsleistungen und einige zusätzliche Leistungsmöglichkeiten (zum Beispiel Darlehen) besteht im Kontext des SGB II in der Regel kein Rechtsanspruch, wenn er sich nicht aus einem anderen Gesetz, wie zum Beispiel dem SGB VIII für den Kindergartenplatz, ergibt. Rechtsansprüche bestehen insbesondere nicht für die Eingliederungsleistungen, die sich unmittelbar auf die Integration in Arbeit beziehen. Erst Rechtsansprüche vermitteln dem Berechtigten die Möglichkeit, die gegebenenfalls verweigernde Entscheidung der Behörde als ausführendes Organ des Staates gerichtlich überprüfen zu lassen.“

Sanktionen:
„§ 31 SGB II regelt unterschiedliche Fallgestaltungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die jünger oder älter als 25 Jahre sind. Kernelement der Sanktionsgestaltung sind Strafen, die unabhängig von der Qualität und der Dauer des Verstoßes pauschale Leistungskürzungen bis hin zur Reduzierung auf null bei wiederholten Verstößen vorsehen.
Für den Einzelnen führt die Sanktion immer zum Eingriff in das soziokulturelle Existenzminimum. Er hat keine Möglichkeit, auf die Dauer der Sanktion Einfluss zu nehmen. Selbst Wohlverhalten nach Sanktionierung führt nicht zwingend zur Aufhebung der Sanktion. Vielmehr sieht die gesetzliche Regelung in der Regel keine Rücknahmemöglichkeit von Sanktionen vor Ablauf der pauschal vom Gesetzgeber vorgegebenen Sanktionsdauer vor.
Folge der Sanktion gegen ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft ist immer auch die Kürzung der Leistung für die gesamte Bedarfsgemeinschaft, die im Hilfesystem nur als Gruppe mehrerer Mitglieder wahrgenommen wird und deren gegenseitige Unterstützung unterstellt wird. Von Sanktionen nur mittelbar betroffene Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft können die Sanktionierung eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft weder gerichtlich anfechten, noch können sie das betroffene Mitglied zwingen, sich den Forderungen des SGB II-Trägers entsprechend zu verhalten. Die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft werden dadurch gegenseitig ohne Rechtsschutzmöglichkeiten in Haftung genommen.“

Im Übrigen spricht aus dem Gesetz ein Systemwechsel vom Wellfare- zum Workfarestaat, der nicht weg diskutiert werden kann.

Wir sind der Ansicht, dass auch die Politik in der Lage sein sollte, Fehler einzugestehen.

Bündnis 90/Die Grünen
Kreisverband
Greifswald-Uecker-Peene

7 Kommentare bei „Hartz IV war ein Fehler!“

  1. […] Sanktionen stehen im SGB II und sind nicht Ergebnis der Praxis. Bedarfsgemeinschaften, die zivilrechtlich nicht Unterhaltspflichtige in die (sozialrechtliche) Haftung nehmen, sind Erfindung des 2003 (!) beschlossenen SGB II. Durch die Bedarfsgemeinschaften werden ansich nicht Hilfebedürftige zu eben solchen gemacht. Zahlreichen Pflichten stehen kaum Rechtsansprüche gegenüber. Die Beweislast tragen in Zweifelsfällen die Betroffenen dieses Systems, usw. […]

  2. […] was SPON gestern meldete. Wir sind uns mit der Arbeits- und Sozialministerin einig, dass “Hartz IV” ein Fehler war. Leider hält die Überschrift nicht, was sie vermeintlich verspricht. […]

  3. […] des soziokulturellen Existenzminimum und Sanktionen passen nicht zusammen, das war hier und anderswo und auch hier schon desöfteren Thema. Erst Recht nach der Entscheidung des […]

  4. […] Wir erinnern uns: “Nichts spricht für die Notwendigkeit dieser Reform, auch nicht die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und auch nicht, dass es für den Staat billiger wurde. Das Gegenteil ist der Fall. Schon die Höhe der Löhne in den neuen Jobs ist nicht untersucht worden, Hartz IV erlaubt nun mal den Lohndruck.” So stand es in einem Antrag unseres Kreisverbandes zur Landesdelegiertenkonferenz in Schwerin im November 2009. […]

  5. […] dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden. Zwar hatte der Antrag unseres Kreisverbandes (Hartz IV war ein Fehler) zur November-LDK 2009 in Schwerin keine Mehrheit gefunden, er führte aber dazu, dass einige […]

  6. […] als “Fehler” angesehen werden. Zwar ist uns die LDK damals nicht in unserem Antrag, Hartz IV insgesamt als Fehler zu bezeichnen, gefolgt, aber mit dem gefundenen Kompromiss kann ich leben. Mehr dazu […]

  7. […] Existenzminimum eingreifende Sanktionen, Zwangsarbeit, Einordnung in eine Bedarfsgemeinschaft usw. Hier, und nicht in der OZ, ist einiges dazu […]

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