Freiheit

Ich habe ein wenig mit mir gerungen, ob ich noch einmal einen Beitrag zu Joachim Gaucks Kandidatur zum Bundespräsidentenamt schreiben sollte. Zumal die Lebensleistung Gaucks und die Arbeit der nach ihm benannten Behörde allen Respekt verdient und er in der Tat als das kleinere Übel gegenüber Christian Wulff erscheint.

Trotzdem verstehe ich den Hype, der um seine Kandidatur gemacht wird, nicht. Denn Gauck vertritt einen Freiheitsbegriff, der in einer immer weiter auseinander driftenden Gesellschaft amputiert erscheint, so jedenfalls Christian Semler in der aktuellen Wochenendausgabe der taz und jetzt auch bei taz.de.

„Gauck stellt sich keinen Augenblick die Frage, ob der Kampf um und die Verteidigung von sozialen Rechten und Positionen nicht in einem unlösbaren Zusammenhang mit den politischen Freiheitsrechten der Bürger steht.“

„Augenscheinlich ist die Idee von Freiheit als Partizipation Gauck völlig fremd. Er diskutiert nicht einmal die Frage, welche Chancen, aber auch welche Gefährdungen mit einem positiven Freiheitsbegriff verbunden wären. „Positiv“ heißt „Freiheit wofür“ – statt den Freiheitsbegriff nur „negativ“ zu bestimmen als „Freiheit wovon“.“

Und weiter: Gauck verkenne, dass „Freiheit ein Projekt [ist], das nach Zusammenarbeit, nach Solidarität“ rufe. Mehr hier…

Solange die Grundrechte Armer mit Füßen getreten werden, solange muss ein Eintreten für eine soziale und gerechte Gesellschaft ein Grundanliegen grüner Politik sein. Natürlich erwarte ich von einem Kandidaten, einem Quereinsteiger, nicht die „reine Lehre“. Die Frage ist doch nur, welche Übereinstimmungen mit grünen Ideen sind für Grüne unverzichtbar. Einen Präsidentschaftskandidaten, der sich für neue Steinkohlekraftewerke ausspricht, könnten wir den akzeptieren? Und müsste es uns nicht zu denken geben, dass der Facebook-Hype von einem FDP-Mitglied initiiert wurde? Oder sollte etwa dies zutreffen? Mir scheint so.

Es kommt immer darauf an, welche Schwerpunkte wir setzen und wo wir gesellschaftliche Veränderungen wollen. Den Neoliberalen und Reformern ist lange genug Zeit gelassen worden, sie haben´s nicht gekonnt.

6 Kommentare bei „Freiheit“

  1. Danke, für den Beitrag. Endlich mal was gegen diesen Gauck Hype. Und die Links, hervorragend. Wie geschrieben: DANKE!!!!

  2. „Es kommt immer darauf an, welche Schwerpunkte wir setzen und wo wir gesellschaftliche Veränderungen wollen. Den Neoliberalen und Reformern ist lange genug Zeit gelassen worden, sie haben´s nicht gekonnt.“

    Aber die Grünen! Die Grünen habens geschafft! Sie habens gekonnt! Die Agenda 2010! maßgeblich mitgestaltet und Deutschland mal wieder ordentlich in den Krieg geschickt!
    Also danke nochmal! Danke an den Verfasser dieses Beitrags!
    Denn erst jetzt kam mir der Gedanke wieviel Zeit Grüns bisher hatten. Und die Grünen haben´s auch nicht gekonnt…

  3. Ein Zitat aus der heutigen taz:

    taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?

    Friedrich Küppersbusch: Ich fühle mich so unpräsidiert!

    Was wird besser in dieser?

    Endlich sitzt da vorne wieder einer rum, den die Welt nicht braucht.

    Genau das ist der Grund dafür, dass all die vielen Texte, egal von wem, nur eines tun: Sie lenken ab von dem, was wirklich berichtenswert ist.

  4. Es geht nicht um Gauck, es geht nicht um Wulff. Um ein kleineres oder größeres Übel? Die Medien haben es allerdings geschafft, dass alle Welt dies nun so sieht. Dass die Medien dies konnten/durften, halte ich jedoch nicht für einen Beweis ihrer Unabhängigkeit. Die Frage sollte auch hier gestellt werden: Cui bono, wem nützt es? Beide Kandidaten sind konservativ, neoliberal geprägt. Das kann es also nicht sein. Gauck ist vielleicht weniger bewusst politisch, was kein Nachteil ist, taugt er doch um so besser zum unbefangenen Freiheitsmärchen-Erzähler. Aber auch das ist es kaum. Entscheidend: die „Strippenzieher“ aus Wirtschaft- und Finanzwelt scheinen ihr Urteil über Merkel gefällt zu haben: Sie hat das Schwarz-Gelbe-Projekt verkackt(und zwar vorsätzlich)! Man wird nun sehen, ob es ihnen gelingt, genügend Abweichler in den eigenen Reihen zu gewinnen, um die Kanzlerin weiter zu schwächen. Das könnte mit anschließendem Misstrauensvotum o. ä. zum Sturz der Kanzlerin führen und Wulff die Kanzlerschaft bescheren. Er würde sie nicht ablehnen! Die „Retter“ des Schwarz-Gelben-Projekts haben es eilig, denn noch müssten SPD und Grüne dieses Spiel, ob sie es nun wollten oder nicht, mitspielen, da es für eine wirkliche Alternative – das schon in der Luft liegende linke Projekt (Rot-Rot-Grün)- fatalerweise auf allen infrage kommenden Seiten noch keine wirkliche Bereitschaft gibt.

  5. Hallo Gregor, hallo Jörg,
    Ihr macht beispielhaft vor, wie man einen gepflegten politischen Diskurs hinbekommen kann. Wobei mir der Text von Jörg deutlich besser gefällt. 🙂

    Lieber Gregor, Gauck ist kein Grüner. Na und? Die Aktionen im Netz werden von einem FDP-Mitglied mitgestaltet. Na und?
    Was ist denn die Grundvoraussetzung für soziale Gerechtigkeit, die sich nicht als Zwangsbeglückung versteht? Freiheit! Und zwar: Freiheit zur Verantwortung und nicht Freiheit von Verantwortung. Die Freiheit des aufgeklärten, emanzipatorischen Bürgertums und nicht die einer egoistischen Upperclasse, die sich ihres Laissez-faire erfreut.

  6. […] erinnert doch stark an die Kritik an Gaucks Freiheitsbegriff, siehe hier und hier. Gauck ist und bleibt seinem neoliberalen Weltbild […]

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