Wir stellten den Kandidatinnen zur Stichwahl für das Amt der Landrätin im Landkreis Vorpommern-Greifswald Fragen zu Themen, die der GRÜNE Landratskandidat Dr. Stefan Fassbinder als seine Schwerpunkte im Wahlkampf vertreten hat und dokumentieren hier die Antworten.
Die Fragen:
1.Demokratie: Welche Maßnahmen werden Sie angesichts der hohen Wahlergebnisse der NPD ergreifen?
2.Bürgerbeteiligung: Wie wollen Sie im Kreis mit einer Fläche, die größer ist als das Saarland, angemessene Bürgerbeteiligung bei kommunalen Vorhaben absichern?
3.Energie: Wie stellen Sie sich die Zukunft des Zwischenlagers Nord vor?
4.Landwirtschaft: Wie stehen Sie zu den Anträgen zur Errichtung von Massentierhaltungsanlagen wie in Alt Tellin und Ludwigsburg? Wie stehen Sie zum Einsatz von Agrogentechnik in unserer Region?
5.Kultur: Welche Vorstellungen haben Sie für die zukünftige Theater- und Museumslandschaft im Kreis?
6.Jugend: Wie wollen Sie sicherstellen, dass es im Kreis flächendeckende Angebote der freien Jugendarbeit gibt?
7.Mobilität: Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um im Sinne des Klimaschutzes den ÖPNV gegenüber dem Autoverkehr zu fördern? Welche Maßnahmen zum Ausbau des Radwegenetzes werden Sie treffen?
8.Haushalt: Bis in wie vielen Jahren streben Sie einen ausgeglichenen Haushalt für Vorpommern-Greifswald an? Mit welchen Maßnahmen wollen Sie das erreichen?
Die Antworten von Frau Dr. Syrbe:
„Sehr geehrter Herr Karpinsky, sehr geehrter Herr Dr. Fassbinder,
vielen Dank für die Möglichkeit, meine Haltung zu einigen gemeinsamen Fragen darzulegen.
1. Das hohe Wahlergebnis der NPD im Landkreis hat mich auch zutiefst betroffen gemacht. Im letzten Kreistag haben wir sehr schnell mit den Fraktionen darüber gesprochen wie wir verhindern können, dass die NPD durch den Kreistag ein öffentliches Podium bekommt. Das ist uns, glaube ich, ganz gut gelungen – Im Kreistag fand die NPD kaum statt und in der Berichterstattung über den Kreistag auch sehr wenig. Dazu haben wir uns mit allen demokratischen Parteien im Kreistag sofort nach der Wahl beraten. Ziel war es, alle kommunal- rechtlichen Möglichkeiten wie: Anzahl der Mitglieder in den Ausschüssen, Umgang mit Anträgen der NPD im Kreistag ü.ä., auszuloten. Dieses Verfahren stelle ich mir auch für den neuen Kreistag vor – z.B. ist durch die Anzahl der Mitglieder in den Ausschüssen evtl. ein Einfluss möglich. Dazu muss die Satzung angepasst werden. Das bedarf einer absoluten Mehrheit der Kreistagsmitglieder. Deshalb müssen sofort Gespräche mit allen demokratischen Fraktionen aufgenommen werden. Die Varianten muss die Verwaltung erarbeiten und die Landrätin muss diese Gespräche koordinieren. So habe ich das auch nach den letzten Wahlen gehandhabt.
2. Zum Punkt Bürgerbeteiligung lassen Sie mich kurz eine eigene schmerzliche Erfahrung vorweg stellen. 1995 habe ich ein Bürgerbegehren im damals neuen Landkreis initiiert. Es ging darum, die Abfallwirtschaft im Kreis in kommunaler Hand zu behalten. Innerhalb der vorgegebenen 6 Wochen haben wir, gemeinsam mit der SPD, weit mehr als die erforderlichen Unterschriften gesammelt. Trotzdem wurde das Begehren im Kreistag abgelehnt. (Ein Kreistagsmitglied der SPD hat sich der Stimme enthalten und dadurch war eine Pattsituation entstanden). Es ist frustrierend, dass die Rechtslage es erlaubt, dass die Meinung von weit über 10.000 Bürgerinnen und Bürgern einfach “weg gestimmt” werden kann. Ich habe als Landrätin noch einige Zeit gebraucht, ehe ich den Abfallbetrieb zu 100 % in der Hand des Kreises hatte. Das Ergebnis für die Bürgerinnen und Bürger war nach der Ausschreibung dann eine drastisch gesunkene Gebühr.
Die Crux in unserem Rechtssystem ist, dass die Bürger immer erst beteiligt werden, wenn ein Vorhaben schon fertig auf dem Papier geplant ist. Dann sind nur sehr schwer grundlegende Entscheidungen zu verändern. Man kann nur noch am “Wie” und nicht mehr beim “Ob” einer Maßnahme mitreden. Das muss man verändern. Beispiele gibt es dazu in Europa (Schweiz).
3. Möglichkeiten: Erstens die Mitteilungsblätter des Kreises und die Internetauftritte so umzugestalten, dass die Bürger auch über Vorhaben und nicht nur über Beschlüsse informiert werden. Dazu bedarf es der nötigen Kreistagsbeschlüsse, aber das sollte möglich sein. Zweitens meine ich, dass alle Ausschüsse sollten öffentlich tagen sollten. Drittens ist zu prüfen, ob die Form der Bürgerfragestunde, wie sie jetzt existiert, optimal ist. Gut wäre es, wenn sich die Bürger a) zu Anliegen äußern könnten, die auf der Tagesordnung stehen und b) die Fragestunde vielleicht an einem anderen Zeitpunkt der Tagesordnung richtiger wäre. Viertens habe ich vor, unseren Internetauftritt für alle Angelegenheiten der Verwaltung interaktiv zu gestalten. Beim Projekt “Lernen vor Ort” haben wir dazu – auf meine Initiative – erste Schritte gemacht. Fünftens können die Erfahrungen aus dem Projekt “UniDorf”, in welchem die Regionalplanung für einen Ort in direkter Bürgerbeteiligung entstand, für weitere Regionen angewandt werden. Sechstens gilt es zu prüfen, welche Elemente des “Bürgerhaushaltes” bei einem Kreishaushalt eingeführt werden können.
4. Zur Zukunft des Zwischenlagers muss ganz klar gesagt werden: Erstens es muss ein Zwischenlager bleiben Leider hängt es von der Fertigstellung eines Endlagers ab, ob und wann das ZLN geräumt werden kann. Zweitens: Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass der Atommüll dort gelagert werden soll, wo er entsteht. Damit kann die Gefahr, die von Transporten ausgeht, vermieden werden. Das schließt aber auch ein, dass deutscher Atommüll nicht in anderen Ländern gelagert werden darf.
5. Bezüglich der Landwirtschaftsfragen bin ich sicherlich nicht die Expertin. Massentierhaltung scheinen mir aber weder aus Gesichtspunkten des Tierschutzes, noch aus Gründen des Seuchenschutzes und schon gar nicht unter dem Aspekt der Belastung für Anwohnerinnen und Anwohner der richtige Ansatz zu sein. In Ludwigsburg haben die Mitarbeiter meiner Verwaltung schon recht früh mit der Gemeinde gesprochen, um im Rahmen dessen, was eine Verwaltung kann, Hinweise zu geben welche planungsrechtlichen Möglichkeiten für die Gemeinde bestehen. Die Planungen der Gemeinden und der Raumordnung können hier auf der Grundlage des Regionalen Entwicklungsplanes grundsätzliche Entscheidungen treffen.
6. Mein persönlicher Einsatz für den Erhalt des Theaters in Anklam und gegen das Theaterkonzept der Landesregierung und für die Erhaltung des Otto Niemeyer Holstein Ateliers ist in der Region gut bekannt. Die Theater und auch die Museen müssen erhalten bleiben Sie sind ein Faktor der demokratischen Kultur, eine Bildungseinrichtung und nicht zuletzt in der Tourismusregion auch ein Wirtschaftsfaktor.
Der Landkreis Ostvorpommern hat sich trotz der angespannten Haushaltslage dafür entschieden, mehr als die Kompensation für die Mittel des Landes (5,10 Euro je Jugendlicher) für die freie Jugendarbeit auszugeben. Der Antrag des Jugendhilfeausschusses (Vorsitz: Lars Bergemann – Die Linke) die kreislichen Mittel auf 10 Euro zu erhöhen, ist durch die Mitarbeiter der Verwaltung inhaltlich vorbereitet worden. Der Kreistag hat den Antrag mit Mehrheit abgelehnt. Im zweiten Anlauf konnte dann eine geringere Verbesserung erreicht werden.
7. Auf den Bau von Radwegen haben wir in Ostvorpommern viel Kraft verwandt. Wir haben einen Radwegemeister eingestellt, wir beteiligen uns unter Führung und auf Initiative der Kreisverwaltung an einem Bundesprojekt zur Einführung eines Radverleihsystems auf der Insel Usedom, als bundesweites Pilotprojekt für die Einführung solcher Systeme im ländlichen Raum.
Den ÖPNV unterstützen wir mit zusätzlichen Mitteln aus dem Kreishaushalt, die wir vertraglich vereinbart haben. Diese Unterstützung ist notwendig, um die Linien im ländlichen Raum nicht noch mehr zu gefährden. Im UER-Kreis gibt es noch eine kommunale Busgesellschaft, die sehr wirtschaftlich bei tariflicher Entlohnung(!) arbeitet. Das gilt es unbedingt zu erhalten. (Wie ich überhaupt der Auffassung bin, dass alles, was Daseinsvorsorgeleistungen betrifft, in die öffentlichen Hand gehört).
8. Der Haushalt des Landkreises kann nach meiner Erfahrung nur saniert werden, wenn die Wirtschaftskraft der Kommunen steigt und wir für die pflichtigen Aufgaben eine angemessene Finanzausstattung erhalten. Mit unseren Landtagsabgeordneten Fr. Dr. Schwenke und Fr. Rösler wird nach meiner Überzeugung auch in diese Debatte auf der Ebene des Landtages neuer Schwung kommen. Ende 2010 hatte der Kreishaushalt in OVP eine kumuliertes Defizit von unter 36,9 Millionen Euro. Das strukturelle Defizit also die Unterfinanzierung für die pflichtigen Aufgaben betrug knapp 35 Mio. In den beiden Jahren 2008 und 2009, als es den Kommunen relativ gut ging und die Sozialleistungen, insbesondere die Kosten für Unterkunft und Heizung, sanken, konnten wir den Haushalt unterjährig ausgeglichen gestalten und sogar noch Schulden abbauen. Der Kreistag, der den Haushalt verabschiedet, hat sich in jedem Jahr sehr intensiv damit beschäftigt, welche Einsparmöglichkeiten noch erschlossen werden können. Ich bin sehr froh darüber, dass wir in den letzen zehn Jahren nicht ein einziges Mal einen Nachtragshaushalt in den Kreistag einbringen mussten, weil die vom Kreistag vorgegebenen Haushaltsansätze überschritten wurden.
Sehr geehrter Herr Karpinsky, sehr geehrter Herr Fassbinder,
ich hoffe, dass ich Ihnen in der “gebotenen Kürze” ausführlich auf Ihre Fragen antworten konnte. Zu den einzelnen Themen gäbe es aus meiner Sicht noch viel mehr zu sagen. Ich wollte Ihnen mit meiner Antwort auch deutlich machen, dass ich nicht nur Ideen habe, sondern auch entsprechend meiner Grundsätze handle. Nicht immer ist das Ergebnis von meinen Intentionen abhängig. Dazu bedarf es auch der politischen Mehrheiten. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir gemeinsam im Kreistag dafür Sorge tragen könnten, dass die Stimme der Bürgerinnen und Bürger im neuen Landkreis Gehör findet und trotz der Größe des Kreises eine echte Selbstverwaltung möglich wird.“
[…] wertete der Kreisvorstand der Grünen die Antworten aus und kam zu dem Ergebnis, dass ”die Antworten von Frau Dr. Syrbe eine intensivere Auseinandersetzung mit den von uns angesprochenen Themen erkennen” ließen, […]